Versehgänge Ende der 40er Jahre im 20. Jahrhundert
(Franz Leonhartsberger, Karl Hahn)
Ich war damals um die 10 Jahre alt, als ich einen Versehgang, wie er damals üblich war, erleben konnte.
Die Rauh Fanni war eine alte Frau, gehbehindert, klein und zierlich, aber zu uns Kindern sehr nett und freundlich. Wir trafen sie sehr oft beim Obstklauben und beim Viehhüten und hatten sie sehr gerne. Ob sie mit der Familie Rauh verwandt war, weiß ich nicht.
Ich kann mich noch gut erinnern, dass die Eltern sagten: „Der Herr Pfarrer und der Onkel Karl (Mesner und Organist bei uns in der Pfarre) gehen zur Rauh Fanni versehen, weil es ihr nicht gut geht.“ Wir Kinder konnten uns darunter nichts vorstellen und warteten gespannt, wann die beiden kommen würden. Sie kamen den Kamleitner Hohlweg herunter, gingen beim Irnfried Kreuz vorbei und kamen immer näher.
Die Eltern gingen mit uns Kindern auf den Anger vor dem Haus. Die beiden kamen den Weg daher, der Pfarrer im schwarzen Talar und mit dem weißen Chorrock mit dem kleinen Ziborium (= Gefäß für die Hostien) mit dem Allerheiligsten in der Hand. Der Mesner hatte die kleine Versehglocke in der Hand und läutete damit, als sie den Hohlweg herauskamen. Wir mussten uns alle am Anger vor dem Haus niederknien. Der Pfarrer drehte sich uns zu und segnete uns mit dem Allerheiligsten im Ziborium. Der Mesner läutete dabei mit dem Glöckchen. Wir alle bekreuzigten uns andächtig. Die beiden gingen dann weiter den Hohlweg hinab zum Rauh.
Dort empfing die Fanni die letzte Ölung, wie damals die Krankensalbung genannt wurde. Dann bekamen die beiden, wie es Brauch war, ein Trinkgeld und eine Jause und gingen schließlich wieder heim in den Markt. Dabei gingen sie jedoch ohne zu läuten, denn sie waren nun irgendwie in Zivil unterwegs, weil die Fanni ja das Allerheiligste (die Hostie) empfangen hatte.
Foto: Zu Hause aufgebahrte tote Frau. (46/371)
Die Fanni verstarb bald darauf. Zur Totenwache, die im Rauh-Haus in der Stube stattfand und zu der alle Nachbarn und Verwandten kommen mussten, das war strenge Christen- und Nachbarschaftspflicht, brauchten wir Kinder nicht gehen. Auch an das Begräbnis kann ich mich nicht mehr erinnern.
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