In Memoriam „Binder-Naz“ (Josef Puchner)

Es sind schon mehr als zwei Jahrzehnte verstrichen seit die Dimbacher „den Binder-Naz“ auf den Gottesacker trugen. Doch der alte Kauz ist ihnen bis heute nicht aus der Erinnerung entflohen. Er hieß Ignaz Schlager und war Bindermeister. So stand es im Totenschein. Die Leute jedoch kannten keinen Ignaz Schlager, sondern nur einen „Binder-Naz“.

Ein schwarzer, speckiger Frack umspannte seine Körperfülle, ein alter Veteranenhut saß auf seinem struppigen Schädel, ein schwarzer, borstiger Vollbart verdeckte fast völlig das wetterharte Gesicht. Er war als junger Mensch aus einem niederösterreichischen Dorf gekommen. Am Ortsrande an der Greiner Straße bewohnte er eine selbstgezimmerte Hütte, die sich windschief unter das Geäst einiger mächtiger Buchen hineinduckte.

Voll Stolz führte er den Besucher in seine Behausung und zeigte ihm Werkstatt und Ställe. Nicht selten besuchten ihn Sommerfrischler. Einmal sprach ein neugieriger Doktor bei dem Binder vor, ob es erlaubt sei, in seine Behausung einzutreten. „Ja selbstverständlich“, meinte er, „bei mir waren schon höhere Herren als Sie zu Gast!“

In seinem erlernten Beruf arbeitete er nur wenig, denn die Nachfrage nach seinen Erzeugnissen war nicht sonderlich groß. Dies hatte seinen Grund wohl darin, dass die meisten Leute eben wenig Sinn für Fässer hatten, aus denen der Most munter durch die Daubenfugen tröpfelte. Doch dass er deswegen die Hände untätig in den Schoß gelegt hätte- keineswegs! Er arbeitete und schaffte- ja man staune nur- am Bau eines Autos.

Es gab damals noch wenige Automobile, und nur selten verirrte sich solch ein Wunderwagen in die Berge des Mühlviertels. Den alten Binder hatte der Zauber des technischen Fortschritts gepackt; er wollte solch ein Fahrzeug sein eigen nennen. Kurz entschlossen, versuchte er selbst den Bau eines Autos. Er war ja bescheiden, er brauchte keinen Motor; ihm genügte eine Tretvorrichtung an dessen Stelle. Die Karosserie verfertigte er aus Holz, das er bei Kaufleuten in Form von Brettern und Zuckerkisten erstanden hatte. Die Räder beschaffte er sich von ausgedienten Schubkarren. Das Auto gedieh „prächtig“, doch die Tretvorrichtung wollte, so gut er auch den Plan durchdacht hatte, nicht recht gelingen. Daraufhin beendete er die Arbeit und stellte den „Wagen“ in den eigens hierfür errichteten Schuppen.

An einem schönen Sonntagvormittag rollte ganz unerwartet das schicke Fahrzeug über den Marktplatz. Binder-Naz saß am „Steuer“; die Marktjugend schob ihn unter dem Lachen der Schaulustigen vor sich her. Der Naz trug zur Feier des Tages eine Chauffeurmütze. Bei dem „Auto“ allein blieb es nicht. Der Naz betätigte sich auch als „Erfinder“. Er beschäftigte sich nämlich mit der Konstruktion eines sogenannten „Windmotors“. Leider reifte der Plan nicht bis zum „Patent“ aus.

So lebte der Alte lustig in den Tag hinein. Das Mehl mahlte er sich mit einer Handbrechmühle selbst; das feinere verwendete er für sich, den Schrott für das Schwein. Wurde ein Fuchs geschossen, so übergab man ihn dem Binder–Naz, der ihn mit Genuss verzehrte. Wurde einer Katze das Lebenslicht ausgeblasen, so winkte ein Freudentag mit einem schmackhaften Leckerbissen für den Einsiedler.

So gingen die Jahre dahin. Allmählich zogen sich in den Bart des Alten mehr und mehr weiße Fäden. Er blieb vergnügt wie immer. Doch eines Tages sah man ihn plötzlich nicht mehr vor seiner Hütte. Eine Krankheit hatte ihn aufs Lager geworfen, von dem er nimmer aufstand. Eines Morgens war er still „hinübergefahren“ in einem funkelnden „Wagen“…

Quelle: Mühlviertler Nachrichten, Seite 14, 6. November 1958

Die Pree-Marie - eine wahre Geschichte!

Maria Brunner, geb. Kleinbruckner (28. August 1925) am Bauernhaus „Ascher“ in Kleinerlau 16 (Eltern Karl und Zäzilia)

Die Erinnerung an die Zeit meiner Kindheit.

Das Hexenhaus und die alte Hexe!

So nannten sie die Städter, die auch öfters in unserer Region ihren Urlaub, die Sommerfrische, verbrachten. Sie war zwar keine echte Hexe, sie schaute nur so wie eine aus, ging mit Stock, war buckelig und sehr verwahrlost, hatte schmutzige Kleider und das Gesicht selten gereinigt. Sie hatte wohl keinen Spiegel.

Ein altes Weib, von unserer heutigen Sicht aus gesehen!

Die Pree Marie! So war ihr richtiger Name.

Sie hatte einige Namen, die Kohler Marie oder eben die Hexe. Kohler Marie deshalb, da man sagte, ihr Vater wäre Köhler gewesen.

Die Kohlen wurden aus Buchenscheitern an einem Ort hergestellt, den es auch heute noch gibt und den man "die Kohlstatt" nennt. Sie wurden dann an Kaufleute verkauft und auch für das Kohlenbügeleisen verwendet. Es gab zu dieser Zeit noch keinen elektrischen Strom.

Sie lebte mit ihren Ziegen und Hühnern zusammen, diese waren sozusagen ihre Familie und sie redete auch mit ihnen. Die Hühner durften auf den Tisch und ins Bett. In dieser Stube war auch der Herd, alles war verraucht in dieser Bude. Manchmal kamen auch noch Ziegen herein. Wenn ihr ein paar ausgebüchst waren oder an ihr Gemüse gingen, dann fluchte sie höllisch. Das war für uns Kinder der größte Spaß. Wenn wir sie foppen wollten, ließen wir ihr die Ziegen aus dem Stall, um sie fluchen zu hören. Kinderstreiche, ja für uns war es halt lustig. Wir mussten aber damit rechnen, von unseren Eltern eine Rüge dafür zu bekommen.

Ja, sie lebte vorwiegend von Ziegenmilch und Ziegenfleisch, das sie selber selchte und so auch ihre Kleidung geräuchert stank. Eine etwas bessere Joppe und einen Kittel trug sie, wenn sie in den Ort hinein einkaufen ging. Sie ging immer barfüßig!

Für Mäharbeiten auf ihrem Grund halfen ihr die Nachbarn. Später vergab sie ihre Keusche auf Leibrente.

Verstorben ist sie im Versorgungshaus in Waldhausen. Soviel ich mich erinnern kann, ist sie auch dort geboren. Endlich hatte sie mal ein reines Bett und Körperpflege kennen gelernt, wovor sie sich anfangs sehr gesträubt hatte. Ende gut, alles gut!

Aufgezeichnet von Maria Fichtinger

Die „Pree-Marie“ (Maria Fichtinger)

Der Burgstall in St. Georgen am Walde, nicht ganze 1000m hoch, ist die höchste Erhebung des Bezirks Perg. Weit reicht der Blick über die hügelige Welt. Seine Gipfelmauern haben eine bewegte Geschichte. In den kriegerischen Zeiten vergangener Jahrhunderte mussten Wächter nach Warnfeuern Ausschau halten, wenn schwedische Söldner raubend durchs Land zogen. Erlauer Bauern trieben ihr Vieh hinauf und verschanzten sich, wenn brandschatzende Husitten bis zur Donau vorstießen. Die Südseite des Berges fällt fast 400m steil zum Sarmingbach ab, der sich im Laufe von Jahrtausenden tief in den Weinsberger Granit eingegraben hat. In den frühen Dreißigerjahren gab es im engen Talboden einige kleine Bauern, während in den steilen Hängen und Gräben dort und da kleine Keuschen und Holzhäuschen wie Geiernester an den einst durch Brandrodung dem Wald mühsam abgerungenen Flächen klebten. Verschiedene Hausnamen wie „Ascher“ oder „Brandner“ erinnern noch an diese Erschließungszeit.

In einer dieser kleinen Keuschen wohnte, das heißt - hauste, die legendäre „Pree Marie“.

Der kleine Rauchfangkehrer machte im Jahre 1935 erstmals Bekanntschaft mit dieser Einsiedlerin. Ohne jede Vorwarnung schickte ihn der Geselle hin. Schon mit dem Hinweis, dass er nicht in den Kamin einsteige, da er nur aus aufgestellten Steinplatten bestünde und auseinanderbrechen würde und das kleine Gewölbe der schwarzen Küche dürfe er nur mit dem Bartwisch „streicheln“, weil das ganze Gewölbe nur mehr aus lockeren Steinen bestünde. Und noch etwas: Für diese Alibihandlung müsste er noch 80 Groschen kassieren.

Der kleine Schwarze kam vom „Taubeneder“ herüber und sah die Bewohnerin der Keusche am Acker, wo sie sich ihre Ration Kartoffel ausgrub. Sie ließ immer einen Teil über den Winter im Feld, erst im Frühjahr grub sie diese aus. Es war Ende April und den ganzen Winter lag eine geschlossene Schneedecke über Feld und Flur.  Dadurch gab es keine Frostschäden. Der Bub hatte sein „Grüß Gott“ noch nicht ganz ausgesprochen, da fing sie schon fürchterlich zu fluchen an und zeigte ihre braunen Zähne. „Was tuast denn du scho wieder da? I hab koa Geld“. Doch es nützte nichts, er musste seine Arbeit tun. Als er fertig war und um eine Unterschrift in die Stube wollte, versperrte sie ihm mit ihrer ganzen Fülle den Weg hinein. Doch es hatte ihm genügt, einen Blick in ihre „Behausung“ zu werfen. Am wackeligen Tisch und am Fensterbrett standen Hahn und Hühner, der Boden einen halben Meter hoch mit Stroh und Mist bedeckt und an die zehn Ziegen standen sich im Weg. In der Ecke, fast wie eine offene Feuerstelle, etwas, was ein Ofen sein sollte. Mehr sah er nicht, denn als sie ihre drei Kreuzlein ins Kehrbüchlein gemalt hatte, drängte sie sich geschickt ins Freie.

So lernte er die wohl skurrilste Persönlichkeit in seinem großen Kehrbezirk kennen und sie flößte dem Bübchen ganz schön Respekt ein. Zu ihrer Forschheit passte auch ihre Aussehen: Eine füllige Gestalt, ihr Alter nicht abschätzbar, eben so wenig wie viel Fülle auf das Konto ihrer vielen Kittel und Unterröcke ging, wo der darüber liegende jeweils die Löcher des unteren überdecken musste. Ihr Gesicht- rund, mit breiten Backenknochen, wie eine Mongolin, wulstige große Lippen und gelbe vorstehende Zähne, dazu eine dicke Schmutzschicht über ihr ganzes Gesicht, die aussah wie die verdorrte Erde der Sahelzone.

Jedenfalls waren die Krautscheuchen der Bauern in Erlau die reinsten Lagerfeldmodels im Vergleich zu ihr.

Der kleine Lehrling ahnte nicht, dass er mit ihr noch so manchen harten Strauß ausfechten werde müssen. Er brauchte noch eine Weile, bis er ihre Taktik durchschaute. Er kam im Sommer oft vor die verschlossene Haustüre und ahnte nicht, dass sie ihn auf dem einsichtbaren Weg zum „Taubeneder“ erblickte und sich in der Scheune versteckte, bis die „Gefahr“ vorbei war. Seine Gegenstrategie war dann die, dass er sich im oberhalb ihrer Keusche liegenden Wäldchen wie ein Jäger anpirschen musste, um sie zu überraschen. Doch er war nicht der Einzige, der mit der „Pree Marie“ seine Probleme hatte. Alle paar Monate machte sie sich auf den Weg nach Dimbach, um Eier umzutauschen für etwas Salz, Zünder oder ein Kännchen Petroleum fürs Ölfunserl. Da gab es nicht nur für den Mesner, sondern auch für den Krämer Alarmstufe eins. Kaum drehte er sich um, die eingebrachten Eier mussten ja verstaut werden, verschwand schon ein Schächtelchen Sacharin oder eine Spule Zwirn in die Tiefen ihrer Kittel. Der Mesner, ein gottesfürchtiger Mann, schlug die Hände über dem Kopf zusammen, wenn sie den Fuß nur über die Schwelle der Kirchentüre setzte, wusste er doch, dass ihr Kirchenbesuch nicht besinnlicher Andacht diente, sondern realere Gründe hatte. Regelmäßig fehlten nach ihrer Anwesenheit eine Menge geweihter Kerzen und Wachsstöcke. Dass sie ihr Gewissen dadurch nicht sonderlich belastete, hing wohl damit zusammen, dass die Kirche bei der Vermehrung ihres Vermögens auch nicht immer nach den Geboten Gottes vorging.

Weil es gleich in einem Aufwaschen ging, besuchte sie bei dieser Gelegenheit auch den Friedhof, nein- nicht um in Stille ihrer Eltern zu gedenken, ihr Grab war längst vom Rasen überwuchert, sondern um nach frischen Gräbern Ausschau zu halten, wo die meistern Grablichter zu holen waren. Vom Mesner wegen ihres frevelhaften Verhaltens zur Rede gestellt, erklärte sie ihm mit treuherzigem Augenaufschlag, dass die Toten nichts davon hätten, da sie ja im Himmel wären, während ihr irdisches Dasein in langen Winterabenden erleuchtet würde. Ja, sie war ein Unikum und viele Episoden rankten um ihre Person, bis man sie in den späten Dreißigerjahren tot inmitten ihrer Ziegen fand.

Quelle: Franz Hamminger, Lehrjahre sind keine Herrenjahre, Seite 126ff.

Von der Mutter weggegeben
(Maria Nenning, Hackl, Maria Fichtinger)

Foto: Maria Nenning mit Gatten. (44/161)

Meine Mutter hatte mit einem Mann bereits sieben Kinder, doch dieser starb jung an Lungenschwindsucht. Ein anderer Mann versprach ihr die Heirat, da jedoch eine andere Frau bereits ein Kind von ihm erwartete, wurde nichts aus der Hochzeit.

Auch meine Mutter war von diesem Mann schwanger und stand nun alleine mit all den Kindern da. In ihrer Not fragte meine Mutter auf der Gemeinde, was sie tun sollte. Auf der Gemeinde gab man ihr den Rat, die Kinder zu Bauern zu geben.

So fügte sich mein Schicksal:

Am 28. November 1921 wurde ich geboren, und als ich noch keine vier Jahre alt war, marschierte meine Mutter mit mir los. Beim Stadler kam uns „die Hacklmutter“ (zukünftige Stiefmutter) entgegen. Sie gab mir ein Sackerl Zuckerl in die Hand und ich ging sofort mit. Meine Mutter ging weinend heim, was ich damals allerdings nicht ahnte. Am selben Abend fragte ich immer nach der Mutter, aber ich wurde vertröstet: „Die kommt eh morgen.“ Nach einer Woche besuchte sie mich das erste Mal.

Alle waren sehr gut zu mir, und ich wurde auch von den „Hackl Leuten“ adoptiert. Die „Hackl Leute“ hatten mich aufgenommen, weil sie selber keine Kinder bekommen konnten.

Die Verhältnisse waren damals sehr ärmlich, bei meiner Geburt war der erste Weltkrieg erst drei Jahre vorbei. Meine Mutter verdiente ihren Unterhalt mit Schule putzen und Geschirrabwaschen in den Gasthäusern - es gab drei Gasthäuser in Dimbach. Das Geld hätte für so viele Kinder nicht ausgereicht, und so kamen wir alle zu Bauern.