Wie ein Schüler in Dimbach das Kriegsende 1945 erlebte (Josef Puchner)
Frühjahr 1945... Ich war Hauptschüler und stand im 10. Lebensjahr. Die letzten Monate und Wochen waren für mich ziemlich turbulent gewesen. Im Februar waren die Schulen im Lande geschlossen worden. Es gab kein Heizmaterial, außerdem benötigte man die Schulhäuser als Notquartiere für Flüchtlinge, Ausgebombte oder Verwundete. Es gab Ferien auf unbestimmte Zeit. Als Angehöriger des Geburtsjahrganges 1929 war ich bereits musterungspflichtig. Mein Befund von der Stellungskommission in Perg: "Kriegsverwendungsfähig, doch Rückstellung für ein halbes Jahr vor der Einberufung."
Ich war froh, dass meine zehn Kilogramm Untergewicht im Verhältnis zur Körpergröße die Stellungskommission zu diesem Befund veranlasst hatten, konnte ich doch nun zuversichtlich annehmen, das nahende Kriegsende daheim bei meiner Familie in Dimbach bei Grein abwarten zu können.
Doch unterdessen hatte Reichspropagandaminister Goebbels den "totalen Krieg" verkündet. Ich wurde zur militärischen Ausbildung nach Arbing bei Perg einberufen. Zusammen mit mehr als einem halben Hundert von Gleichaltrigen wurde ich in eine Uniform gesteckt, bekam ein Gewehr in die Hand gedrückt, lernte ein Maschinengewehr bedienen und übte mit der "Panzerfaust", wie man feindliche Tanks unschädlich macht. Ein Infanterie‑Unteroffizier jagte uns stundenlang unter dem Kommando "Auf! Nieder! Auf! Nieder!" über die morastigen Felder und Wiesen. In der "ruhigeren" Zwischenzeit hieß es Schützenlöcher ausheben.
Nach Ende dieser Schnellsieder-Ausbildung schickte man uns vorläufig nach Hause, um neuen Ausbildungsgruppen Platz zu machen. Am letzten Tag jedoch wurde jeder einzelne in die Schreibstube gerufen und im Befehlston aufgefordert, sich "freiwillig zur Waffen-SS zu melden". Ich lehnte dies ab. Ich wusste nämlich, dass die im nahen Konzentrationslager Mauthausen stationierte Bewachungsmannschaft aus den Reihen der SS rekrutiert worden war. Das Geschehen im Konzentrationslager war trotz Abschirmung nach außen gedrungen. Vor allem hatten mir meine Eltern mit Nachdruck eingeschärft, mich ja nicht freiwillig zur SS zu melden.
Ein höherer Hitlerjugendführer aus Perg und der vorhin erwähnte Unteroffizier versuchten, mich - wie die anderen Betroffenen - mürbe zu machen.
„Du meldest dich zur Waffen-SS du Schwein!", schrie der Unteroffizier. Mein Nein brachte ihn in Wut. Er wollte wissen, warum ich mich nicht meldete. Ich durfte ihm den wahren Grund jedoch nicht sagen. Drum schwieg ich beharrlich. Er nahm einen Stock vom Tisch — es dürfte sich um einen Zeigestab gehandelt haben — und ließ ihn fortgesetzt knapp vor meinen Augen auf die Tischplatte niedersausen. Dabei brüllte er: „Du meldest dich freiwillig! Ich mache dich fertig, du Drecksau!" Ich stand stramm. Nur mit aller Kraft vermochte ich die Tränen zurückhalten.
Der Hitlerjugendführer, der sich bisher ruhig verhalten hatte, mischte sich nun ein: "Ja, du willst Lehrer werden, wie ich weiß. Daraus wird nichts! Du warst ein strammer deutscher Junge, aber deine Eltern haben dich nicht im richtigen nationalsozialistischen Geist erzogen."
Ich wurde langsam weich. "Ich melde mich nicht freiwillig zur SS, sondern zur Kriegsmarine", sagte ich. "Marine?", schrie der Unteroffizier. "Marine brauchen wir keine mehr!'' - Doch ich beharrte: "Ich möchte zur Marine!" — Darauf der Hitlerjugendführer. "Na gut, schreiben wir Marine, er kommt dann sowieso zur SS."
Ich war über meine "Niederlage" tief betroffen. Als ich am Abend zum Bahnhof von Arbing ging, war ich dem Weinen nahe. Dazu kam, dass mir niemand sagen konnte, wann der nächste Zug Richtung Grein kommen würde. Der Bahnverkehr war durch die Fliegerangriffe höchst unregelmäßig geworden. Ich verbrachte die Nacht im Wartezimmer des Bahnhofes. Endlich gegen Morgen konnte ich mit einem Zug, der Soldaten an die ungarische Front brachte, nach Grein fahren. Von dort gelangte ich nach einem dreistündigen Fußmarsch nach Dimbach.
Meine Eltern trösteten mich: "Deine ‘Freiwilligenmeldung’ ist sowieso hinfällig, denn der Krieg kann nicht mehr lange dauern."
Quelle: Mühlviertler Nachrichten, 7. Mai 1970
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