1945: Todesmarsch durch Dimbach… (Josef Puchner)
Ein Augenzeuge erinnert sich
April 1945: Sowjetische Truppen sind bis St. Pölten vorgestoßen. Auf dem Rückzug befindlich, räumen die deutschen Truppen ihre in Niederösterreich (damals "Gau Niederdonau") befindlichen Kriegsgefangenen- und Zwangsarbeitslager. Unter Bewachung werden die Gefangenen in Richtung Westen in Marsch gesetzt. Die meisten Gefangenen sind entkräftet, Verpflegung gibt es nur in unregelmäßigen Abständen und in vollkommen unzureichender Menge. Hilfe von Seite der einheimischen Bevölkerung ist nur selten möglich, wird in der Regel von der Bewachungsmannschaft verhindert: "Mitleid mit Feinden" darf keinen Platz haben! Horrorszenarien auf vielen Straßen: Erschöpfte werden mit Gewehrkolbenschlägen weitergetrieben, bleiben schließlich sterbend am Straßenrand liegen oder werden erschossen...
An einem Apriltag kommt ein Zug von rund vierhundert rumänischen Kriegsgefangenen - unter Bedingungen wie eingangs beschrieben - in Dimbach an.
Anmerkung: Bis zum Einmarsch der sowjetischen Armee in Rumänien waren die rumänischen Truppen auf deutscher Seite kämpfend willkommene "Frontkameraden", doch nach der Kapitulation Rumäniens änderte sich dies: rumänische Verbände kämpften nun unter sowjetischem Oberbefehl gegen Deutschland; aus "Verbündeten" waren plötzlich "Feinde Großdeutschlands" geworden - in der Lesart der Propaganda!
Die Rumänen bieten einen erbarmungswürdigen Anblick: zerlumpt, abgemagert, vom Hunger gezeichnet. Die Kolonne bewegt sich mühselig dahin, einzelne Gefangene schieben einen Karren mit Marschutensilien vor sich her. Mancher versucht am Straßenrand ein Büschel Gras auszureißen, um es zu essen. Doch dies wird von den den Bewachern mit Gewehrkolbenschlägen und Fußtritten abgestellt.
Für die Nacht lagern die Gefangenen auf einer feuchten Wiese - in der Nähe des Bauernhofes "Wegerer" - in Sichtweite vom westlichen Ortsrand. Die Nacht ist kalt, einige Feuer werden gemacht. Nicht alle besitzen einen Mantel, um sich notdürftig vor der ärgsten Kälte schützen zu können.
Am nächsten Morgen werdenbeim "Wegerer-Bauern" einige Kübel voll Kartoffeln für die Gefangenen geholt. Beim Einklauben überwacht ein Soldat, dass nur möglichst angefaulte Kartoffeln zu den Hungernden gelangen. Nach seiner Meinung seien Normalkartoffeln "zu schade" für die Gefangenen. Ein Soldat berichtet, dass bisher rund fünfzig Gefangene zu Tode gekommen seien.
Im Laufe des Tages formiert sich die Kolonne zum Weitermarsch. Jemand wirft einige Stücke Brot in die Reihen. Die Hungernden stürzen im Rudel auf das Brot - die Stärkeren entreißen es den Schwächeren. Der Tumult wird schließlich mit Gewehrkolbenschlägen geschlichtet.
Die meisten Dimbacher sind zutiefst verstört über all das, was sie mit ansehenmüssen. Noch dazu erfährt man in den folgenden Tagen: beim "Schwarzer" - an der Straße nach St. Georgen - ist ein Toter gefunden worden, ein weiterer an der Straße auf halbem Wege zwischen Aumühle und Grein.
Rund 13 Jahre später - im Februar 1958 - wird in Memmingen/Bayern gegen einen ehemaligen Unteroffizier, der für den Gefangenentransport verantwortlich war, vor dem Schwurgericht verhandelt, des "Totschlagsin 54 Fällen beschuldigt".[1]
Bericht in den "Oberösterreichischen Nachrichten" vom 5.2.1958 unter der Überschrift: "Schwere Anklage gegen ehemaligen Kriegsgefangenenbewacher".
- Details
- Zugriffe: 580