Kriegsgericht in Dimbach

Ein Originalbericht aus der Pfarrchronik S. 347ff

„Mitte April 1945 wird auch Dimbach von starken deutschen Truppen belegt. Der Stab eines Pionierbau-Battailons wird hier einquartiert. Unter diesen Soldaten sind einige sehr gute Organisten, gratis reparieren sie die schwer schadhafte Orgel in der Kirche und stellen einen herrlichen Männerchor zum Soldatengottesdienst am Sonntag den 22. April. Abends wurde bereits jeden Tag ein ausgezeichnetes Soldatenkonzert im Gasthof Schachenhofer gegeben. Mit Musik suchen viele die düstere Stimmung wieder etwas aufzuhellen, aber es will nicht mehr recht gelingen. Die meisten Soldaten erkennen die ganze Hoffnungslosigkeit ihrer Lage. Eine Truppe löst nun die andere ab. Kaum sind die Pioniere abgezogen, taucht eine Feldkommandantur auf, an der Spitze ein General Major, der im Mesnerhause Wohnung nimmt. Ein regelrechtes Kriegsgericht wird hier eingerichtet mit Stabsrichtern und Justizräten. Am Freitag den 20. April wurden in Dimbach nicht weniger als fünf Todesurteile gefällt, aber Gott sei Dank nicht vollstreckt, sondern zur Begnadigung weitergeleitet. Die meisten Fälle sind Desertionen. Darum wurde auch eine Abteilung Feldgendarmerie hieherverlegt, einquartiert beim Stadler, Auger und Kaar, die ständig Streifendienst machte, weil sich die Zahl der Deserteure von Tag zu Tag vermehrte. Auch ein sicheres Zeichen der Auflösung und des Zerfalles. Der Krieg geht mit Riesenschritten seinem Ende entgegen.

Am 25. April, am Markustag, findet hier ein evangelisches Begräbnis statt. Eine aus Baasan in Schlesien evakuierte Frau war beim Wegerer plötzlich gestorben. Sie war nur einen Tag kränklich, wahrscheinlich war das Mutterherz unter den vielen Sorgen und Strapazen zusammengebrochen: Vier Söhne standen im Feld, der Mann war eingerückt und von den anderen Kindern keine Nachricht, selber hatte sie alles verloren und war auf der Flucht bei fremden Leuten. Solche harte Lebensschicksale gibt es heute zu Tausenden. Ein evangelischer Diakon, der hier bei der Feldgendarmerie stationiert war, hielt das Begräbnis um drei Uhr nachmittags. Alle Evakuierten gaben der Verstorbenen das Geleit.

Einige Stunden zuvor, in der Mittagszeit, überflog ein starkes Bombergeschwader unseren Ort. Linz wurde wieder schwer bombardiert. Auch der Dom erhielt einige Treffer und musste vorübergehend für den Gottesdienst gesperrt werden. Längere Zeit kreiste über Dimbach ein viermotoriger Bomber in geringer Höhe, auf einmal setzte er neun Fallschirmjäger ab, flog Richtung St. Georgen weiter und stürzte dann brennend in der Nähe von St. Georgen in den Wald. Die amerikanischen Fallschirmjäger werden sofort von der Feldgendarmerie eingefangen und bis zu ihrem Abtransport ins Lager in der Schule gefangen gehalten. Kurze Zeit darauf fliegt ein Pulk feindlicher Maschinen über uns, plötzlich explodiert eine Maschine in riesiger Höhe, Stichflammen werden sichtbar, das Flugzeug zersplittert in drei Teile und stürzt brennend und trudelnd in die Tiefe. Schon hat es den Anschein, es stürze auf den Markt, aber der Wind verträgt es und die brennenden Teile samt den verbrannten Leichen kommen bei der Krammermühle zur Erde.

Am 27. April um 16 Uhr vereinigen sich die amerikanischen und die russischen Truppen bei Thorgau an der Elbe, Deutschland ist damit in zwei Teile geschnitten. Am gleichen Tag überschreiten amerikanische Truppen bei Breitenberg in der Nähe des Dreisesselberges die oberösterreichische Grenze. Furchtbare Kämpfe toben in Berlin, das von den Russen vollkommen eingeschlossen ist. Bremen wird von den Engländern erobert, Regensburg von den Amerikanern genommen, Brünn von den Russen besetzt. Eine Stadt fällt nach der anderen. München und ganz Bayern wird von den Amerikanern befreit. Die Italienfront bricht vollständig zusammen, die Amerikaner marschieren in Innsbruck ein. Mussolini wird zum zweiten Mal gefangen und von Freiheitskämpfern sofort gerichtet. Am Samstag den 28. April tauchen zum ersten Mal Gerüchte von einem Friedensangebot und von der Kapitulation Deutschlands auf. Die Lage wird von Tag zu Tag kritischer. Gauleiter Eigruber spricht fast täglich im Rundfunk zur Kriegslage. Am 2. Mai ist Berlin gefallen und damit die Entscheidungsschlacht verloren. Der deutsche Rundfunk verkündete Hitler sei tot, angeblich bei der Verteidigung Berlins gefallen, Dönitz sei sein Nachfolger. Die deutsche Armee ist dem Zerfalle nahe.

Am 4. Mai, am Florianitag, stehen die Amerikaner vor Linz. Es ist die 3. amerikanische Armee unter General Pattens, die den Angriff auf Linz eröffnet. Den ganzen Nachmittag und die darauffolgende Nacht rollt es wie ein gewaltiges fernes Gewitter, es ist die feindliche Artillerie, die bei Walding, Rottenegg und auf den Höhen des Pöstlingberges steht und Linz unter Feuer nimmt. Am darauffolgenden Tag ziehen die amerikanische Truppen siegreich in Linz ein, nachdem am darauffolgenden Tag auch Salzburg besetzt wurde. Am 5. Mai um 8 Uhr morgens kapituliert die ganze deutsche NW Armee mit Holland und Dänemark einschließlich. Bereits am 5. Mai dringen die Amerikaner bis Mauthausen und Perg vor und befreien das große Konzentrationslager Mauthausen, in dem nicht weniger als 500.000 Menschen aller Nationen durch die SS zu Tode gequält und gemartert wurden. Es ist ein himmelschreiendes Verbrechen und eine furchtbare Schuld, die der Nationalsozialismus mit den vielen Konzentrationslagern wie Dachau, Mauthausen, Belsen, Maidenegg etc. auf sich geladen hat. Zu Tausenden wurden Polen in Mauthausen hingerichtet, zu Abertausenden die Juden in Auschwitz vergast und verbrannt. Auch viele katholische Priester schmachteten unschuldig in Dachau. Jede Meinungsäußerung war im 3. Reich verboten, das Gewissen geknechtet, jede andere Weltanschauung unterdrückt. Durch volle 7 Jahre herrschten auch in Österreich Gestapo, Blut und Terror. Man durfte kein unrichtiges Wort sagen, viel weniger schreiben, sonst war man am nächsten Tag in Dachau oder Mauthausen. Daraus erklärt sich auch die vorsichtige Schreibweise der Chronik angefangen vom Jahre 1938 bis zum heutigen Datum. Besonders auch die katholische Kirche war durch den Nationalsozialismus unterdrückt und geknechtet. Wie atmete alles erleichtert auf, als wir hörten, die Befreier, die Amerikaner, seien schon in der Nähe. Schon hören wir das amerikanische Maschinengewehrfeuer aus der Richtung Perg - Mauthausen.

Aber für uns sollen die aufregendsten Tage erst kommen. Schon hatten die Nachbarorte weiße Fahnen gehisst und schon wollten auch wir es tun, da kam im letzten Moment am Bittsonntag in der Früh die gefürchtete SS Totenkopf Division in unsere Gegend. Mit einem Schlag verwandelte sich unser friedlicher Ort in ein ganzes Heerlager. An den Ausgängen des Ortes fuhr Artillerie und Pak auf. Mienen wurden gelegt und die letzten Vorbereitungen zum Kampfe getroffen. Im Gasthaus Staudinger war der Gefechtsstand, der Gasthof Menzel wurde für das Rote Kreuz eingerichtet und in wenigen Stunden war mit Kampfhandlungen zu rechnen. Die Abhaltung des Frühgottesdienstes wurde vom Kommandanten noch gestattet, aber die Leute getrauten sich einfach aus Angst nicht mehr herzu. In den Mittagsstunden brachten wir dann noch die wertvolle Statue am Hochaltar, das Gnadenbild der Gottesmutter im Pfarrhofkeller in Sicherheit, dann verließ die ganze Bevölkerung fluchtartig den Ort. Alles stand nun auf des Messers Schneide. Wäre es zu Kampfhandlungen gekommen, von unserem kleinen Orte wäre wohl nicht mehr viel übrig geblieben. Aber wir hatten einen höheren Schutz und die Himmelmutter hatte unser liebes Dimbach nicht vergessen. In den letzten Minuten kam der Befehl: Feuer einstellen. Aber es waren bange Stunden, die wir Sonntag und Montag erleben mussten. Am Sonntag waren alle Ortsbewohner hinaus zu den Bauern geflüchtet. Das Pfarrhofpersonal fand beim Plumpfer gütige Aufnahme. Obwohl die Bitttage waren, konnten Montags und Dienstag früh nur stille hl. Messen gelesen werden, erst am Mittwoch war wieder das erste Amt. Es war eine kritische und bange Bittwoche. Am Montag trat eine kurze Hoffnung ein. Schon hörte man überall von Friedensverhandlungen, aber noch immer hoffte die SS, sie könne wenigstens gemeinsam mit den Amerikanern noch einmal gegen den Russen antreten. Aber am Dienstag wurde auch diese Hoffnung zunichte. Ganz verzweifelt ging nun die SS an die Vernichtung und Sprengung sämtlichen Kriegsgerätes. Die Geschütze wurden gesprengt, die Munition verschossen, die Panzer und die Autos mit Benzin übergossen und angezündet. Es war ein Höllenlärm, der den ganzen Mittwoch nachmittags anhielt. Im Gasthof Menzl lag in diesen Stunden Frl. Viktoria Menzl in den letzten Zügen. Sie sollte den Frieden nicht mehr erleben.  Dienstag den 8. Mai 1945 eine Minute nach Mitternacht trat völlige Waffenruhe ein. Mit Ausnahmen in der Tschechoslowakei, wo noch einige Kampfhandlungen fortdauerten, war auf allen Linien der Kampf eingestellt worden. Deutschland hatte bedingungslos kapituliert.

Der 8. Mai 1945 kann als das Kriegsende in Europa bezeichnet werden. Die Amerikaner stießen bis gegen Grein (Dornach) vor, zogen sich aber am selben Tage wieder bis gegen Mauthausen zurück. Am 10. Mai am Christi Himmelfahrtstage nachmittags tauchten dann die ersten russischen Truppen in Dimbach auf. Weiße Fahnen wurden gehisst, die dann später von den österreichischen Fahnen in Rotweißrot abgelöst wurden. Die kommenden Wochen waren durch einen starken Durchzug der KZler aus Mauthausen gekennzeichnet. Es kommt eine rechtlose Zeit, wo kein Gesetz und keine Ordnung herrscht. Raub und Plünderung sind an der Tagesordnung. In vielen Häusern werden Kleider und Lebensmittel geplündert, die Pferde werden aus den Ställen gerissen, nirgends fühlt man sich sicher. Dieser Zustand dauerte volle vier Wochen. Am 17. Mai vormittags sollte ich zur Frau Haider im Grünerhäusl versehen gehen. Ich ging zur Vorsicht „schwarz“. Aber schon beim Gruberholz begegnete ich einem Wagen mit vier KZlern, die mich anhielten und sagten: „Komm mal her!“. Ich ging ruhig weiter. Beim Grammerstorferholz begegnete ich einem zweiten Wagen mit 12 bis 15 Mann Ukrainern. Ich drückte mich etwas in den Wald zu Leuten, die Reisig hackten, aber sofort kamen 6-7 Mann auf mich zu, durchsuchten mich, nahmen mir das Allerheiligste, gaben es aber nach kurzer Zwiesprache wieder zurück, aber ich musste dafür sämtliche Kleider, Hut, Stock, Hose und Schuhe und den Rucksack hergeben. Dafür geben sie mir ihre schlechten KZ-Kleider. Brevier und Rosenkranz konnte ich auch retten. In diesem Aufzug konnte ich natürlich den Versehgang nicht mehr fortsetzen, ich kehrte um und konnte einige Tage später den Versehgang ohne Störung machen, doch musste ich einen verborgenen Schleichweg einhalten. In diesen Tagen war man zu Hause keinen Augenblick sicher, noch weniger auf der Straße.

Am 5. Juni 1945, am Jahrestag der Invasion in Frankreich, tritt in Berlin die erste alliierte Kommission zusammen und erlässt eine Deklaration mit 15 Punkten über die Kapitulation Deutschlands. Am 6., 7. u. 8. Juni ziehen zahllose russische Truppen wieder nach Norden Richtung Zwettl-Gmünd. Der Hauptverkehr spielt sich auf der Straße Königswiesen-Zwettl ab, teilweise auch auf der unteren Straße von Waldhausen nach Ottenschlag, teilweise aber auch auf unserer Straße. Am 12. und 13. Juni kommen von Tschechoslowakei lange Flüchtlingskolonnen von Kroaten, Banatern, Siebenbürgern und Volksdeutschen durch unseren Ort, die wieder zurück in ihre Heimat wollen. Furchtbare Szenen spielen sich ab. Hunger, Elend und Not schaut allen Flüchtlingen aus den Augen. Kinder und Erwachsene können sich kaum mehr fortschleppen vor Entkräftung. Auf dem Marktplatz stirbt gleich nach der Ankunft ein neunjähriger Bub an Auszehrung. Der Arme, Franz Renz mit Namen, wird am 14. Juni hier im Friedhofe begraben. Soweit es möglich ist, wird von unserer Bevölkerung den armen Flüchtlingen geholfen, aber sie müssen bald wieder weiter, weil sie die Russen auf einen Schlepper verladen und donauabwärts bringen wollen.

Im Juli setzt dann ein starker Durchzug verwundeter deutscher Soldaten ein, hauptsächlich  Schlesier und Bayern, die aus den Lazaretten in Böhmen entlassen wurden und die teilweise zu Fuß teilweise mit Wägen durch unser Gebiet hindurch die amerikanische Linie bei Linz zu erreichen suchen. Es ist ein trauriger Anblick. Bettelnd müssen sie von Ort zu Ort ziehen, auf den Wägen liegen Schwerverwundete, viele ohne Hände, ohne Füße und viele Blinde. Überall erbarmt sich die Bevölkerung ihrer und hilft so gut sie helfen kann. Außer den Besatzungstruppen, den Verwundeten und flüchtigen herrscht fast kein Verkehr, kein Auto, keine Post, man atmet förmlich auf, als das erste Privatauto von Grein hereinkommt. Der Sommer ist sehr heiß und trocken. Frühzeitig setzt die Ernte ein, alles hilft mit, um die Gottesgaben gut einzubringen, denn ganz Europa steht vor einer furchtbaren Hungersnot. In allen vom Krieg hart betroffenen Ländern erhebt sich drohend das Gespenst des Hungers. Noch hatte das untere Mühlviertel immer gehofft, mit dem Lande Oberösterreich wieder vereinigt zu werden und unter amerikanische Besatzung zu kommen, da räumen die Amerikaner am 28. Juli auch das ganze obere Mühlviertel und das ganze Land nördlich der Donau von Passau bis Wien wird einheitlich von den Russen besetzt. In Urfahr entsteht eine eigene Zivilverwaltung für das ganze Mühlviertel. Dort und da kommen traurige Fälle von Plünderungen und Vergewaltigungen vor. Am 28. Juli abends kommt nach langer Trockenheit und Dürre endlich ein langersehnter Regen, der aber von einem heftigen Gewitter und furchtbarem Sturm begleitet ist. Dächer werden arg mitgenommen, Bäume entwurzelt, auch das Kirchendach hatte argen Schaden gelitten und die schöne Linde auf dem Marktplatz war auch ein Opfer dieses Sturmes geworden. Anfangs August treten zwei Ereignisse ein, die ein schnelles Kriegsende herbeiführen; Deutschland hatte ja zwar schon anfangs Mai kapituliert, aber der Krieg mit Japan ging pausenlos weiter. Da erklärt nun auch Rußland Japan den Krieg und zugleich fallen die ersten Atombomben durch die amerikanische Luftwaffe auf die beiden japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki. In einer einzigen Stadt gibt es durch eine Atombombe bei 90.000 Tote, die beiden Städte verschwinden fast vom Erdboden. Zermürbt durch diese harten Schläge kapituliert auch Japan und das Ende des Zweiten noch furchtbareren Weltkrieges war damit gekommen. Am 15. August, am Fest Maria Himmelfahrt, um 1 Uhr mitternachts tritt auf der ganzen ruhelosen Welt endlich wieder Ruhe und Frieden ein. Es war ein gewaltiges, gigantisches Völkerringen, wie es die Welt wohl kaum einmal gesehen hatte. Auf beiden Seiten wurden Menschen und Material in die Schlachten und in die Wagschalen geworfen, bis endlich die furchtbare Gewaltherrschaft in Deutschland zusammenbrach und die Völker von dieser schrecklichen Geißel befreite. Wer Hass predigt, muss Sturm ernten, diese Worte haben sich leider am deutschen Volk bitter erfüllt. Am 20. und 21. August kommt eine G.P.U. Abteilung nach Dimbach und hält in allen Häusern Hausdurchsuchungen. Im Pfarrhof hatten sie sich sehr wohl benommen.“