Kriegserinnerung „Abgeschossen am Pay Day“
von James E. Martin aus Evansville, Indianer USA, Übersetzung Max Ruspeckhofer, Naarn, Bearbeitung: Rudolf Freinschlag
Der Amerikaner James E. Martin war Bordschütze in einer „Flying Fortress“ (fliegende Festung) mit der Bezeichnung B-17. Sein Flugzeug wurde am 31. Dezember 1943 in Frankreich in der Nähe Spaniens von deutschen Jagdfliegern abgeschossen. Über Frankfurt, wo er verhört wurde, kam er in ein Lager bei Krems. Im April 1945 wurde das Lager vor den heranrückenden Russen geräumt. Während des Abmarsches Richtung amerikanischer Front explodierte ein Wasserkanister im Nachtlager. Dadurch wurden ihm und seinen Kameraden John Raines aus Iowa sowie Joe Suss aus New York die Füße verbrüht. Sie versteckten sich einige Tage in einer Scheune, da sie nicht weitergehen konnten. Da Joe Suss deutsch sprach, konnten sie sich bis Dimbach durchschlagen, wo sie beim Obergrammersdorfer Unterschlupf fanden. James E. Martin schildert den Aufenthalt in Dimbach:
„Immer noch mieden wir die Hauptstraßen. Spät am Abend kamen wir zu einem großen Bauernhaus ungefähr eine Meile von Dimbach entfernt. Wir blieben an einem großen Holztor stehen. Es war ca. 10 Fuß hoch und auch ungefähr so breit (= ca. 3 Meter). Wir klopften an dieses Tor und eine hübsche Lady namens Maria machte auf. Joe fragte sie um etwas zu essen. Maria kam mit Schmalzbroten zurück und eine andere nette Lady brachte einen Krug mit Most. Sie öffneten das Tor und luden uns ein, in ihrer Scheune zu bleiben. Ich glaube nicht, dass sie sich vor uns fürchteten und wir waren so dankbar für ihre Liebe und Freundlichkeit. Heute, fünfzig Jahre später, kann ich noch immer das Leuchten der Liebe in ihren Gesichtern sehen. Die andere Lady hieß Resl und die zwei waren Schwestern. Sie lebten mit ihrem Bruder Michael und seiner Frau. Ich glaube, dass wir am Bauernhof der Familie Grünberger um den 12. April 1945 ankamen. Wir blieben drei Tage und Nächte in der Scheune. Am vierten Tag lud man uns ein, im Haus der Familie zu leben. Wir aßen auch am Tisch mit ihnen. Es schien, dass sie uns gern hatten und natürlich hatten wir sie sehr gern, weil sie uns aufnahmen. Sie hätten angeklagt werden können, weil sie Amerikanern Unterschlupf gewährt hatten. Das Kriegsende war schließlich noch drei Wochen weg. Während unseres Aufenthaltes kam noch ein Amerikaner und gesellte sich zu uns. Später suchten zwei Engländer Unterschlupf und man gewährte ihn ihnen. Sie waren nicht sehr gesund. Sie waren vier Jahre lang in Kriegsgefangenenschaft gewesen. Daher, sagten sie, waren ihre Mägen voll von Geschwüren. Während wir auf dem Bauernhof waren, halfen wir mit bei den Rindern und arbeiteten auf dem Feld, geradeso, als ob wir zuhause gewesen wären.
Ungefähr eine Woche oder zehn Tage vor Kriegsende gab es eine Gruppe von deutschen Soldaten ein Stück weiter die Straße hinunter, ungefähr eine Meile von dem Hof entfernt. Ich weiß nicht, wie sie in Erfahrung brachten, dass wir auf dem Hof waren, aber sie wussten von uns und luden uns zu ihrem Quartier auf Besuch ein. Wir drei Amerikaner gingen hinunter und sie waren sehr freundlich. Wir fürchteten uns etwas vor ihnen, da wir ja schließlich Feinde waren. Joe sprach mit ihnen und sie boten uns Zigaretten und Wein an. Bevor wir gingen, sagte uns der Offizier noch, dass, wenn der Krieg vorüber sein würde, sie einen Rot-Kreuz-Rettungswagen für uns dalassen würden, damit wir den Hof verlassen könnten.
So Anfang Mai kamen die Russen durch Dimbach und stahlen alles, was sie auf ihren Wagen laden konnten (Bettbezüge, Fahrräder, Schweine, Radios – alles was sie wollten). Zu dieser Zeit kam der Pfarrer der katholischen Kirche von Dimbach auf den Hof und ersuchte die Amerikaner ins Dorf zu kommen und zu patrouillieren. Er hatte Handfeuerwaffen für uns. So gingen wir nach Dimbach und zeigten den Russen, dass wir hier waren und patrouillierten. Es gab keine Kämpfe, wir blieben einen ganzen Tag, während die Russen durchzogen. (Anmerkung: in der Pfarrchronik ist davon nichts verzeichnet).
Zurück am Hof gab es wieder die übliche Arbeit. Am 7. Mai kam der deutsche Offizier und seine Gruppe vorbei und sie gaben uns den Rot-Kreuz-Wagen, damit wir zur amerikanischen Front kommen konnten. Wir verwendeten ihn aber nicht und zogen es vor, auf dem Bauernhof zu bleiben, bis uns die amerikanischen Streitkräfte befreien würden. Nun, was geschah? Die zwei Engländer und der andere Amerikaner, der später auf den Hof gekommen war, nahmen den Wagen und verschwanden. Und das war auch das Letzte, das wir von ihnen sahen.
Am frühen Nachmittag des 15. Mai 1945 kamen ein amerikanischer Offizier und sein Fahrer auf den Hof. War das ein Zusammentreffen. Der Krieg war vorbei, und wir waren endlich frei. Der amerikanische Offizier gab der Familie eine Menge Lebensmittel und alles, was er entbehren konnte. Er war angewiesen, zu einem bestimmten Dorf zu gehen, um mit russischen Offizieren zusammenzutreffen. Die Russen und Amerikaner kämpften noch immer in der Nähe dieses Dorfes. (Anmerkung: hier dürfte sich der Verfasser beim Datum geirrt haben, die Kämpfe bei Königswiesen waren die letzten in Oberösterreich und wurden am 9. Mai 1945 beendet).
Nachdem uns alle Russen wieder verlassen hatten, übernachteten wir in einem Haus im Dorf. In diesem Haus waren aus irgendeinem Grund auch Mongolen. Sie gingen, und wir aßen und schliefen dort. Am nächsten Morgen gingen wir durch die Hauptstraße und sahen Leute, die Handgranaten in den Fluss warfen und Fische töteten, um etwas zu essen zu haben. Wir stoppten auf der Brücke, stiegen aus und während wir sie beobachteten, rannten die Frauen auf uns zu und baten uns, die Russen wegzujagen. Die Russen stahlen ihre Kleidung und die Fahrräder. Sie gingen einfach in die Häuser und nahmen, was sie wollten. Es gab aber auch wirklich nichts, was wir für sie tun konnten (Anmerkung: mit dem Dorf konnte er nicht mehr Dimbach meinen).
Am späten Nachmittag kamen wir im Konzentrationslager Mauthausen an, nur zwei Tage, nachdem es befreit worden war. Ein unfassbares Grauen erfasste uns an diesem Platz des Todes.“ (Anmerkung: die Befreiung fand am 5. Mai statt, daher kann die Abreise aus Dimbach mit 15. Mai nicht stimmen oder sie kamen später nach Mauthausen).
James E. Martin konnte mit seinen Kameraden das Konzentrationslager besichtigen, und sie waren tief betroffen über die Vorgänge im Lager. Nachdem sie Mauthausen verlassen hatten, flogen sie von Linz aus nach Frankreich, wo sie mit dem Schiff nach Amerika gebracht wurden.
Da die Erinnerungen erst 50 Jahre später niedergeschrieben wurden, ist es verständlich, dass einige Zeit- und Ortsangaben ungenau sind. Auch in der Pfarrchronik sind keine Berichte über die Amerikaner enthalten, wohl auch um die Familie Grünberger, Obergrammersdorfer, zu schützen.
Die unmittelbaren Nachbarn Anton Gruber (geb. 1925) und seine Schwester Leopoldine (geb. 1928), die das Kriegsende zu Hause miterlebt hatten, wurden im Jahr 1996 zu diesen Ereignissen befragt:
Drei Amerikaner kamen ihres Wissens am 25. April (Absturz eines amerikanischen Flugzeuges beim Auger/Krammermühle) beim Obergrammersdorfer an. Auf Vermittlung von zwei serbischen Fremdarbeitern nahm Michael Grünberger sie bei sich auf. Die Amerikaner wurden von den unmittelbaren Nachbarn nie gesehen. Es gab noch immer Menschen mit nationalsozialistischer Gesinnung, daher wäre es viel zu gefährlich gewesen, wenn sich fremde Soldaten in der Öffentlichkeit gezeigt hätten. Am sichersten war man in diesen unruhigen Zeiten zu Hause. Daher ist ihnen auch über die Geschehnisse in Dimbach wenig bekannt. Bei Kriegsende haben die Amerikaner ihren Unterschlupf verlassen, wohin, ist den Geschwistern Gruber nicht bekannt.
Wie gefährlich die Aufnahme der amerikanischen Kriegsgefangenen war, zeigt der Bericht in der Pfarrchronik (Seite 347):
„Eine Truppe löst nun die andere ab. Kaum sind die Pioniere abgezogen taucht eine Feldkommandantur auf, an der Spitze ein General Major, der im Mesnerhause Wohnung nimmt. Ein regelrechtes Kriegsgericht wird hier eingerichtet mit Stabsrichtern und Justizräten. Am Freitag den 20.4. wurden nicht weniger als 5 Todesurteile hier gefällt, aber Gott sein Dank nicht vollstreckt, sondern zur Begnadigung weitergeleitet. Die meisten Fälle sind Desertionen. Darum wurde auch eine Abteilung Feldgendarmerie hieherverlegt.“
James E. Martin hat nach dem Krieg mehrmals Österreich und das Obergrammersdorfer besucht, zuletzt Anfang der neunziger Jahre.
Foto: Karl und Elfriede Ebner, James E. Martin mit Sohn (ca. 1988) (22/2207)
1980 wurde auch die Tochter Elfriede Ebner (geb. Grünberger) mit ihrem Gatten Karl nach Amerika eingeladen. Dort trafen sie alle fünf Amerikaner, die beim Obergrammersdorfer Unterschlupf gefunden hatten.
Foto: Amerikabesuch 1980 James E. Martin mit Karl und Elfriede Ebner (22/2206)
In den letzten Jahren ist der Kontakt leider abgebrochen, und alle Bemühungen, eventuell über dessen Sohn eine Verbindung herzustellen, führten nicht zum Ziel. Sollte Herr Martin noch am Leben sein, wäre er jetzt ca. 90 Jahre alt.
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