Die Dankbarkeit einer ukrainischen Zwangsarbeiterfamilie
(Franz Leonhartsberger)

In den letzten Jahren des Zweiten Weltkrieges wurden von den Nazis in den Oststaaten wie Polen und Ukraine junge Menschen und Familien gezwungen, in das Deutsche Reich sowie in die annektierten Staaten wie die Ostmark, wie Österreich genannt wurde, als Arbeitskräfte zu gehen. So waren auch junge Polen und Polinnen wie unser damaliger Pfarrer Wladislaw Wegrzyn und ein Teil seiner Geschwister im Raum um Gallneukirchen und Unterweitersdorf als Zwangs-Landarbeiter eingesetzt.

Bei uns in Dimbach waren vorwiegend junge ukrainische Familien und junge ledige Burschen als Zwangs–Landarbeiter bei den Bauern zugeteilt. Das deswegen, weil die meisten der Männer und Burschen aus Dimbach als Frontsoldaten eingerückt waren und daher überwiegend nur die Frauen und Kinder für die landwirtschaftliche Arbeit zur Verfügung standen.

Auf dem Bauernhof meiner Eltern, dem Wegerergut, war eine junge ukrainische Familie zur Arbeit zugeteilt. Es waren dies Peter Drosd und seine Frau Nadya, geb. Mokrpsika. Sie hatten eine kleine Tochter, die Maria, die am 6. Februar 1943 beim Wegerer geboren wurde und somit fast gleich alt wie meine Schwester Maria war. Unsere Schwester Maria lernte gut und sprach allmählich mit den Ukrainern in ihrer Sprache und mit uns deutsch. Als diese dann wieder wegzogen, vergaß sie deren Sprache wieder vollständig. Einige Wörter der Sprache weiß ich aber heute noch. Ich habe sie bei meiner Russlandreise verwendet.

Wir verstanden uns gut mit den Ukrainern. Sie gehörten zu unserer Familie. Peter war ein fleißiger, starker, junger Mann und konnte auch gut mit den Pferden umgehen. Das einzige Problem, das wir mit ihnen hatten, waren die Zornausbrüche der Nagya. Da wurde auch Peter oft zornig und ging mit ihr hinter den Stall hinaus, um ihr eine Tracht Prügel zu geben. Dann war wieder alles in Ordnung. Er sagte: „Das Teufel braucht jedes Monat einmal Schläge, sonst geht es ihr nicht gut, und sie ist böse auf alle!“ Eigenartiger Weise stimmte das auch, denn sie war dann wieder friedlich, brav, geduldig, glücklich, die Welt war wieder in Ordnung, es gab keinen Streit mehr.

Die Ukrainer waren überall im Ort beliebt, fügten sich harmonisch in die Gemeinde ein und störten niemanden. Einen Vorfall aus der Zeit der Heu- und Kleelieferungen für die Wehrmacht habe ich mir aber gemerkt.

Ein Bauer, ein sogenannter Hagestolz, der auf die Knechte, Mägde und besonders auf jene aus anderen Ländern herabschaute, lieferte auch Heu. Vor der Brückenwaage, die neben der Straße durch den Markt an das F.X.Müller Haus angebaut war, mussten die Bauern und Knechte auf die Abwaage warten, bis sie an der Reihe waren. Dieser Bauer wollte nicht warten, sondern an den Wägen, auch an denen, die die Ukrainer fuhren, vorbei auf die Waage. Ein Ukrainer wehrte sich und sprach sich dafür aus, dass jeder der Reihe nach drankommen sollte. Der Bauer regte sich auf, schlug mit der Peitsche auf den Ukrainer ein und fuhr auf die Waage. Die anderen Ukrainer sahen das auch, und im Gespräch bei uns am Stubentisch sagte Peter, dass er den Bauern abstechen wolle. Die übrigen redeten ihm das aus, und so ließ er diesen Plan wieder fallen.

Zu Kriegsende rächte sich Peter aber an dem Bauern. Als er samt Familie mit Pferden und Wagen in die Heimat Ukraine zurückfuhr, nahm er dem Bauern einen Leiterwagen und vieles andere weg. Ob er ihm auch die Schläge zurückgab und ihm ein oder mehrere Pferde wegnahm, weiß ich heute nicht mehr. Der Bauer hielt sich auf jeden Fall sehr zurück, denn er wusste, dass es ihm sonst ans Leben gehen könnte.

Die Ukrainer versammelten sich gegen Kriegsende oft bei uns in der Stube und diskutierten ihre Situation. Sie hatten Waffen wie Revolver organisiert, doch für uns bestand keine Gefahr. Als sie wegzogen, ließen sie ein in Ukrainisch oder Russisch abgefasstes Schreiben bei meinen Eltern. In diesem ersuchten sie die späteren Besatzer, zu uns nett zu sein und uns keinen Schaden zuzufügen, da wir auch zu ihnen gut und nett waren und sie sich bei uns wohlgefühlt hatten. Wie sich bald herausstellte, war dies ein Schutzbrief für uns und half uns bei den späteren Russenüberfällen.

Pfarrer Wladislaw Wegrzyn, dem ich von dem Papier erzählt hatte, nahm es nach Polen mit, um es übersetzen zu lassen. Wir konnten aber mit dieser Übersetzung nichts Richtiges anfangen. Er behielt sie dann auch für sich.

Peter sagte uns, dass er, wenn wieder Frieden sein werde, uns einmal besuchen wolle. Über Umwege konnten wir erfahren, dass er von den Russen in die Rote Armee gezwungen worden war, weitere Informationen blieben aber aus.

Das Original des Schutzbriefes sowie die Bestätigung des russischen Oberleutnants wurden gut verwahrt und sind heute noch vorhanden (siehe Abbildungen).

Frau Dagmara Gadshieva, Dimbach 56, übersetzte auf meine Bitte hin dieses Dokument:

„Ich bin ein Ukrainer und will mit diesem Brief bestätigen, dass ich bei diesem Besitzer (Mann, Familie) mit Frau und kleinem Kind zwei Jahre war. Die Leute haben uns nie beleidigt und waren nie böse, und es ist uns gut gegangen. Diese zwei Jahre haben wir nie gestritten. Ich bitte euch, jeden, der diesen Brief liest, diesen Leuten (Menschen) nichts Schlechtes anzutun.        Unterschrift Petar Drosd.“

Foto: „Schutzbrief“ des Ukrainers Peter Drosd. (22/2309)

Auf der Rückseite notierte er seine Heimatanschrift in ukrainischer und deutscher Sprache:

„Kam – Podolsk, Krais. Wolozisk, Dorf Ichniwzi. Drosd Petar.   Ukraine“

Über beide Seiten ist schräg darüber geschrieben: „Für VICTORY“ (das heißt – Für Sieg).

Ein weiteres, ebenfalls vorhandenes Schriftstück stammt von einem russischen Offizier, der mit Soldaten zu uns gekommen war, um ein angeblich im Stadel verstecktes Motorrad abzuholen. Da dies, weil wirklich keines da war, nicht möglich war, drohte er den Vater mit dem Erschießen. Wir hatten alle große Angst. Die Mutter zeigte ihm schließlich den Brief von Peter. Daraufhin wurde er freundlich, verlangte zwei Schweine, die er bezahlte und fuhr mit den Soldaten weg.

Der Text des Schreibens lautet:

„Bestätigung von russischem Offizier für Herrn Franz, dass ich von ihm zwei Schweine genommen habe und dafür 100,- Mark bezahlt habe. Ich werde die Schweine in unser Realitäten Lager (Depot) bringen.

Oberleutnant Kuturov“ (Unterschrift unleserlich).

Foto: Brief eines russischen Offiziers. (22/2307)

Interessant ist, dass es nicht 100,- Mark, sondern 5,- Rubel waren.